Zwischen Puzzle und Patina: Henry und seine zwei Vespen
In den verwinkelten Gassen von Rothenburg ob der Tauber, wo die Zeit gefühlt langsamer tickte als ein schlecht eingestellter Zweitakter, residierte Henry, der selbsternannte "Vespa-Flüsterer". Seine Werkstatt, eher eine staubige Besenkammer mit chromblitzenden Heiligtümern, war das Zuhause zweier betagter Roller, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: eine silberne Vespa Sprint namens "Puzzle" und eine beigefarbene Rally namens "Denkmal".
Puzzle, die Augsburger Göre von 1973, hatte ihren Namen redlich verdient. Henry hatte sie einst als rollendes Konfetti-Set auf eBay ersteigert. Der Vorbesitzer, dessen Schrauber-Motivation offenbar mit der Anzahl der gelösten Schrauben schwand, hatte jedes einzelne Fitzelchen fein säuberlich in einer rostigen Keksdose verstaut. Henry, damals noch mit vollem Haar und weniger chronischen Rückenschmerzen, verbrachte Wochen damit, die metallenen Überreste zusammenzufügen. Seine damaligen Nachbarn und sein Chef erinnerten sich noch lange an die kreischenden Geräusche von Flex und Drahtscheibe, mit denen Henry dem "Puzzle" die letzte Lackschicht vom Leib rückte – gefolgt von einem Duft, der stark an verbranntes Metall und unbezahlte Rechnungen erinnerte.
Trotz seines Meistertitels – dessen Urkunde er ironischerweise mit einer verbogenen Vespa-Kurbelwelle an die Wand genagelt hatte – entdeckte Henry noch Jahre später auf Vespa-Treffen Schrauben am "Puzzle", die vermutlich eher an einen Traktor als an eine filigrane Sprint gehörten. Seine lakonische Feststellung dazu lautete stets: "Augsburg halt. Die haben's mit der Genauigkeit nicht so genau genommen." Seine Lieblingsausfahrt mit dem "Puzzle" in die Fränkische Schweiz endete übrigens beinahe in einem Fiasko, als sich während einer malerischen Serpentinenfahrt der Gepäckträger mitsamt dem sorgfältig verstauten Picknickkorb verabschiedete. Die anschließende Suche nach Käsewürfeln und fränkischem Wein geriet zu einer unfreiwilligen Schnitzeljagd.
Ganz anders das "Denkmal", die betagte Rally von 1974. Sie war Henrys melancholisches Meisterstück, eine Hommage an seinen verstorbenen Schrauberkollegen Willi. Der Originalfarbton "Zederngrün", den Henry unter einer dicklichen Schicht Mercedes-Silber freilegte, war so speziell, dass ihn Außenstehende gerne mit "altem Senf" oder "vergilbtem Babypüree" verglichen. Henry hingegen sah darin "Patina mit Persönlichkeit". Seine penible Konservierung des "Denkmals" artete manchmal in skurrile Rituale aus. So wurde der Roller bei Vollmond mit Olivenöl poliert, um "die Geister der Vergangenheit zu ehren", wie er es nannte.
Die Ausfahrt mit dem "Denkmal" nach Südtirol verlief zwar pannenfrei, aber nicht ohne komische Zwischenfälle. In einem idyllischen Bergdorf hielt Henry stolz vor einer Eisdiele. Als er mit einem riesigen Eisbecher zurückkam, hatte eine neugierige Ziege Gefallen an der "authentischen Kunst auf Rädern" gefunden und versuchte, das Zederngrün abzulecken. Henry vertrieb das Tier mit einem energischen "Hau ab, du Lackfresserin!", was ihm einige belustigte Blicke der Einheimischen einbrachte.
So lebte Henry, der Vespa-Flüsterer, inmitten seiner zwei ungleichen Lieblinge in Rothenburg. Der "Puzzle", immer für eine Überraschung gut, und das "Denkmal", eine rollende Erinnerung mit einem Hang zu ungewöhnlichen Verehrern. Und jedes Mal, wenn Henry an seinen Rollern schraubte, murmelte er vor sich hin: "Vespa fahren ist wie eine Wundertüte – man weiß nie genau, was als Nächstes passiert. Aber egal! Hauptsache, es stinkt nach Zweitaktöl!"
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